Für Dankbarkeit braucht es etwas Muße

Gelassenheit, Erfahrung, Weitsicht, Geduld, Nachsicht und Weisheit – Oh ja, das Alter hat viele Vorzüge. Leicht gesagt, wenn man noch meilenweit davon entfernt ist. Steckt man jedoch mittendrin, geraten die Vorzüge des Alters oft in den Hintergrund, weil sich weniger erstrebenswerte „Begleiterscheinungen“ dazwischen drängeln. Dankbarkeit wäre eine Option für möglichen Seelenfrieden.

In der Dankbarkeit für das Kleine vergisst sich das Große

Nun kommt sie schon wieder mit Dankbarkeit. Ja, ja, ich kann mir gut vorstellen, dass du das jetzt denkst, aber heute muss es sein. Mein Vater, Mitte Achtzig, verliert zunehmend das Augenlicht. Außerdem gebeutelt durch Parkinson und dreimal die Woche Dialyse, ist der Alltag nicht leicht für ihn. Die letzten Wochen konnte ich ihn in langen Gesprächen dazu bringen, dass er jetzt Pflege erhält und ich mich um seine Angelegenheiten kümmere, da er nicht mehr lesen und schreiben kann. Das fiel mir schwer, denn ich wollte ihn nicht entmündigen, ihm nicht dieses Gefühl geben, z7 nichts mehr fähig, gar nutzlos zu sein. Anfangs war er schwankend dabei, mal einsichtig, mal nicht. Doch heute nahm er meine Hand und bedankte sich bei mir, wie erleichtert er über all das sei und entschuldigte sich, dass es ihm nicht leichtfalle, loszulassen. Wir sprachen dann noch über Dinge, über die wir nie gesprochen hatten. Am Ende fuhr ich nachhause zurück und mein Herz war voller Dankbarkeit für diesen geteilten Moment.

„Demut ist der Schlüssel zu Freiheit und Glück.“

Hubert Benoit, aus „Die hohe Lehre“

Dankbarkeit lehrt uns, Grenzen zu akzeptieren.

Wie oft sagt mein Vater zu mir, er sei dankbar für all das, was er in seinem Leben gehabt hat. Nie höre ich ihn über seine Krankheiten klagen. Klar, er hadert ein wenig damit, dass er nicht mehr dies und jenes kann, aber wirklich jammern tut er nicht. Er erkennt seine Grenzen bedingt durch sein Alter und lebt dennoch zufrieden jeden neuen Tag. Er erzählt mir täglich Kleinigkeiten, zum Beispiel was er gegessen hat, wer ihm beim Einkaufen geholfen, wer bei ihm angerufen hat.

Dankbarkeit beschenkt dich mit dem Gefühl der Fülle und erleichtert so das Loslassen.

Sein Radius hat sich dermaßen verengt und trotzdem ist er dankbar für das, was sich ihm noch bietet. Schaffe ich das auch irgendwann? Wächst im Alter die Dankbarkeit? Ich glaube, je früher wir damit anfangen, Dankbarkeit bewusst zu pflegen und uns täglich dessen gewahr zu werden, desto einfacher wird es uns auch im Alter fallen, trotz Widrigkeiten dankbar zu sein, statt griesgrämig die Tage abzuleben, sie trotz vieler Einschränkungen freudvoll zu genießen.

Jeder Gedanke der Dankbarkeit ist ein Aufflackern der Liebe, die tief in unserem Herzen wohnt.

Dankbarkeit erleichtert das Loslassen

Ist dein Herz mit Liebe gefüllt, fällt es leichter loszulassen. Plagt dich jedoch eher das Gefühl des Mangels, wird Loslassen zu einem bedrohlichen Verlust. Ich denke, das ist der Unterschied, wenn es darum geht, Dankbarkeit in den Alltag zu integrieren. Je dankbarer du dein Leben empfindest, desto mehr Liebe spürst du. Liebe für das Leben, für die Menschen, für dich selbst. Derart aus der Fülle heraus wird es leichter fallen, Dinge loszulassen, denn du bist dir deines „Reichtums“ bewusst. Wer gegen Ende des Lebens das Gefühl hat, nicht genug abbekommen zu haben, der spürt noch immer einen Mangel und sämtliche Einschränkungen verstärken dieses Mangelbewusstsein nur. Indem du täglich Dankbarkeit bewusst spürst, erlebst du im Jetzt eine Fülle, die dich später tragen wird.

Dankbarkeit ist eine Frage der Haltung

Warum müssen wir altern? Dass wir es tun, lässt sich selbstverständlich wissenschaftlich erklären. Aber warum wird alles gegen Ende so erschwerlich? Wo steckt da der Sinn? Mich plagt seit Wochen Heuschnupfen und plötzlich greift mein Mann auch ständig zum Taschentuch. „Machen dir die Pollen etwas auch zu schaffen, Schatz?“ Meine besorgte Frage belächelt er: „Nö, ich fürchte, das ist der Alterstropfen an der Nase.“ Dass wir über so etwas lachen können, liegt am Alter. Immerhin etwas. In dem Buch „Achtsamkeit – mitten im Leben“ schreibt der Altersmediziner Dr. med. Eckard Krüger, dass die meisten Menschen auf die einfache Frage, was Sie im Alter besser können als in jungen Jahren, immer zuerst all das aufzählen, was schlechter geworden sei. Erst beim zweiten oder dritten Nachfragen würden dann die Qualitäten genannt werden, die das Alter so mit sich bringt. Das zeigt wunderbar, wie unsere Haltung ausgerichtet ist: immer erst das Negative. Du und ich, wir sollten uns alle eine umgekehrte Haltung angewöhnen. Erst das Positive, denn dann verliert das Negative automatisch an Gewicht. Und Dankbarkeit hilft uns dabei, automatisch mehr und mehr das Positive in den Fokus zu setzen.

„Im Grau der Haare zeigen sich Spuren des großen Sturms und des Versuchs, allem Widerfahrenen einen Sinn abzugewinnen.“

Dr. med. E. Krüger, aus „Achtsamkeit – mitten im Leben“

Dankbarkeit überrascht dich jeden Tag neu

Vielleicht sollte ich nicht weiter nach der Sinnfrage des Alterns forschen. In allem, was passiert, suche ich stets nach etwas Gutem. Vielleicht naiv, doch wenn ich abends drei Dinge in mein Dankbarkeitstagebuch schreibe, für die ich „heute“ dankbar bin, finde ich immer etwas, egal, wie schlecht der Tag auch war. Dann erfüllt mich eine Art Demut oder was auch immer dieses Gefühl ist, das mein Herz erwärmt. Ob es nun am Alter oder an der Achtsamkeit liegt, ich werde jetzt spüriger. Zum Beispiel war ich am Sonntag mit meinem Mann und Hundekind Henry im Stadtpark spazieren.

Entlang eines Weges blüten mehrere Rhododendron-Büsche derart strahlend pink, dass wir stehen blieben, um zu schauen und uns darüber zu freuen. Und wir waren nicht die einzigen Spaziergänger, die von diesem Farbwunder der Natur derart begeistert waren. Einige Passanten nutzten die Blütenpracht als Hintergrund für Selfis. Ein überraschendes Geschenk der Natur. Und das bewusste Gefühl der Dankbarkeit für dieses Geschenk bewirkt, dass du es nachhaltiger und intensiver erlebst, dass du es spürst.

Der Demütige erkennt und akzeptiert, aus freien Stücken, dass es etwas für ihn Unerreichbares, Höheres gibt.

Definition Demut laut wikipedia

Dankbarkeit intensiviert das Erleben des jeweiligen Moments

Gleich komme ich zum Ende meines Posts, denn das Hundekind will raus. Täglich bin ich dreimal mit ihm draußen, laufe durch Parks und Wälder und jedes Mal spüre ich Dankbarkeit. Dankbarkeit für das Erleben der Natur und für die Freude meines kleinen Kameraden, wie glücklich er überall schnuppert, hinter Stöcken hinterherrennt und mich freudig mit seiner nassen Nase anstupst. Wusstest du, dass im Englischen das Wort für Hund – DOG – das Anagramm für GOD (Gott) ist? Wie dem auch sei, ich würde jetzt nicht gerade sagen, dass ich etwas Göttliches erlebe, wenn ich mit Henry Gassi gehe. Doch tatsächlich schafft es ein Hund, uns Menschen wieder in das Erleben der Gegenwärtigkeit zu ziehen. Für einen Hund existiert nur „Jetzt“ und bei jedem Blick wird uns dieses deutlich. Jetzt, genau dieser Moment zählt, alles Vergangene und Zukünftige hat keine Bedeutung. Vielleicht ist das auch das Geheimnis von Dankbarkeit. Das, was gerade ist, wertzuschätzen.

Natürlich mache ich mir noch immer Sorgen, wie es mit meinem Vater weitergehen wird. Sein Parkinson wird schlimmer, das Augenlicht immer weniger und die Dialyse wird für den Körper immer anstrengender. Doch sind wir zusammen und er erzählt mir seine täglichen Erlebnisse oder Geschichten von früher, dann denke ich mir: So, wie es gerade ist, so ist es gut und dafür bin ich dankbar. Ich bin für ihn da und wir sind uns nah. So macht alles einen Sinn. Das Große Ganze kann ich nicht erklären, aber das muss ich gar nicht, in diesem Moment erschließt es sich auch so. Darauf kommt es an. Das erfüllt mich mit Dankbarkeit. Das wärmt mein Herz.

  • Jeden Abend schreibe ich weiterhin drei Dinge auf, für die ich „heute“ dankbar bin. Und bin ich zu müde dazu, dann schreibe ich es in Gedanken nieder.
  • Ich nehme mir Zeit für das Erleben im Alltag. Kleine Atempausen zwischendurch, in denen ich achtsam spüre, was ich in diesem Moment gerade fühle.
  • In allem steckt etwas Gutes: Dieser tiefen Überzeugung von mir gehe ich auch in Kleinigkeiten nach, über die ich mich ärgere, weil sie schief gegangen sind.

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Über Achtsamkeit im allgemeinen, was das ist und wie es dir hilft, kannst du hier weiterlesen Worum es speziell beim Thema "Dankbarkeit" geht, findest du hier ...

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