Selbstmitgefühl stärkt deine Gelassenheit

Mitgefühl steht hoch im Kurs. Täglich werden wir mehr oder weniger direkt auf diese Tugend hingewiesen. Das ist gut so. Sehr viele Menschen engagieren sich sozial und helfen in der Not wo, wann und wie es nur geht. Ohne Mitgefühl kein Miteinander und keine Liebe. Und jetzt komme ich mit Selbstmitgefühl. Jawohl: Mit dir selbst mitfühlen. Und das hat rein gar nichts mit Egoismus zu tun.

Je achtsamer du wirst, desto selbstmitfühlender
wirst du und desto mitfühlender begegnest du den anderen.

Selbstmitgefühl ist eine liebevolle Umarmung für dich selbst

Meine Kinder sind auf dem Sprung. Mein Sohn will ausziehen und meine Tochter nach der Schule ein Jahr ins Ausland gehen. Mir macht das Angst. Wenn beide aus dem Haus flattern, bleiben mein Mann und ich allein zurück. Meine Mutter ist bereits vor fünf Jahren gestorben, mein Vater nun dieses Jahr. Die Zeit läuft, der Wandel der Generationen, doch mir fällt es schwer, mit Gelassenheit diese natürliche Entwicklung zu betrachten. Ich bin traurig.

Und während meiner vielen Spaziergänge mit unserem Hundekind tauchen immer wieder Bilder von meinen Eltern bei mir im Geiste auf. Von ihrem Leben, nachdem mein Bruder und ich ausgezogen und nachdem auch die Großeltern gestorben waren. Und dann sehe ich ein Paar, das es geschafft hatte, sich ein gutes Leben einzurichten, das mit sich allein zufrieden und glücklich und voller Lebensfreude war. Und irgendwie spüre ich dann Gelassenheit, eine Art Vertrauen in den Lauf des Lebens.

„Stellt euch vor, ihr seid eine Welle auf der Oberfläche des Meeres. Beobachtet euer Entstehen: Ihr steigt an die Oberfläche empor, bleibt für eine Weile und dann kehrt ihr ins Meer zurück. Ihr wisst, dass ihr ab irgendeinem Punkt aufhören werdet. Doch wenn ihr wisst, wie ihr den Grund eures Seins, das, woraus ihr wirklich besteht – Wasser -, berührt, wird all eure Angst schwinden. Ihr werdet sehen, dass ihr als Welle das Leben des Wassers mit allen anderen Wellen teilt.“

Thich Nhat Hanh, aus: Achtsamkeit mit Kindern

Ich habe diese Zeilen des Mönchs Thich Nhat Hanh ein paar Mal gelesen, immer wieder neu. Für mich sind sie eine bildhafte Aufforderung für mehr Mitgefühl. Keine Welle gleicht der anderen. Einige Wellen peitschen vom Sturm gejagt über das Wasser, andere tanzen nervös auf zittriger Oberfläche. Alle Wellen sind unterschiedlich. Doch alle bestehen sie aus Wasser. In uns allen rumoren Emotionen. Gefühle, wie zum Beispiel Angst und Traurigkeit, wie ich sie gerade oft erlebe, aber auch Gefühle der Hoffnungslosigkeit oder Erschöpfung.

Doch in dem Moment, wo du dich mit Mitgefühl dir selbst zuwendest, kannst du diesen Emotionen gelassener begegnen. Jeder Moment, in dem du dir Selbstmitgefühl schenkst, ist wie eine Umarmung.

Selbstmitgefühl stärkt deine Gelassenheit dir selbst gegenüber

Wir sind alle miteinander verbunden. Doch nur, wenn wir Selbstmitgefühl praktizieren, können wir auch Mitgefühl für andere aufbringen. Denn wenn wir versuchen, bei uns selbst etwas zu bekämpfen, indem wir es ignorieren oder verdrängen, wie können wir es dann bei anderen liebevoll umarmen? Selbstmitgefühl lehrt dich, dir selbst mit Gelassenheit zu begegnen und diese Gelassenheit wirkt sich positiv auf die Begegnungen mit anderen aus.

„Anstatt den Feind (z.B. Angst) im Kampf zu besiegen, sei Mitgefühl und Präsenz gefragt, denn was wir ablehnen, verfolgt uns.“

Interview mit Christopher Germer, Harvard Medical School

Selbstmitgefühl macht dich empathischer für andere Menschen. Interessant ist auch die Frage: Wie aufrichtig ist unser Mitgefühl anderen gegenüber, wenn wir uns selbst kein Mitgefühl schenken können?

Manchmal stehen uns Glaubenssätze im Wege und erst im Nachhinein können wir diese durch selbstmitfühlendes Erkennen lösen. Ich zum Beispiel verurteile mich oft selbst, wenn ein Glaubenssatz mich zu Gedanken hinreißen lässt, die ich schrecklich finde. Beispielsweise wenn ich im Einsatz für die Obdachlosen unterwegs bin und es mich nervt, wenn ein Obdachloser nicht nur einen Schlafsack und eine Isomatte haben möchte, sondern auch noch eine Jacke, eine Hose, Socken, Schuhe etc. Ich mich vor mir selbst dafür. Doch in der Achtsamkeit erkenne ich, dass hier ein Glaubenssatz dahintersteckt: „Wer arbeiten will, der findet auch Arbeit.“ Diesen Satz habe ich von klein auf gehört. Doch es ist nicht meine Schuld, dass mir dieser Satz als Gepäck mitgegeben wurde. Selbstmitfühlend muss ich mich also nicht für derartige Gedanken selbst fertig machen, sondern kann sie gelassen annehmen, als Gedankengut anderer erkennen, um mich davon zu lösen.

Ein Mangel an Selbstmitgefühl schadet dem Miteinander

Ein Mangel an Selbstmitgefühl lässt uns ungerecht und selbstgerecht reagieren.

Ich glaube, dass ein großer Teil unserer Unzufriedenheit aus einem Mangel an Selbstmitgefühl herrührt. Latente Gereiztheit, Lustlosigkeit oder Überforderung – alles Gefühle, die wir erst durch eine liebevolle Zuwendung zu uns selbst lösen können. Warum fällt es uns nur so schwer, uns einmal selbst in den Arm zu nehmen? Selbstmitgefühl hat nichts mit Schwäche, Jammern oder Egoismus zu tun. Selbstmitgefühl lehrt dich, dich zu akzeptieren, wie du bist, und all deine Gefühle zuzulassen und anzunehmen. Dadurch wirst du dir selbst gegenüber wesentlich gelassener, gehst mit dir selbst nicht mehr so hart ins Gericht und entsprechend gelassener und toleranter wird das Miteinander.

Mithilfe achtsamer Wahrnehmung kannst du dein Selbstmitgefühl tagtäglich stärken. Je bewusster und spüriger du für deine geistigen, körperlichen und emotionalen Empfindungen wirst, desto näher rückst du an dich heran. So siehst du klarer, denn du erkennst die Zusammenhänge. Daraus entwickelt sich eine liebevolle Akzeptanz, frei von Urteil und Kritik. Derart gelassen wirst du dann auch das Miteinander im Außen erleben.

Selbstmitgefühl lässt uns den Wert erkennen

Ich gestehe mir zu, dass ich wegen der familiären Veränderungen Traurigkeit und Angst fühle. Und ich fühle mit mir selbst, wenn die Bilder der Erinnerung auftauchen und mich tief bewegen. In der selbstmitfühlenden Annahme machen mir diese Gefühle keine Angst mehr. Und ich erkenne und erfreue mich an dem Wert, den all diese Bilder für mich haben, die mein Herz wie ein Fotoalbum aufbewahrt.

Ja, dazu gehört auch die kritische Betrachtung, wie die des vorhin beschriebenen Glaubenssatzes. Meine Großeltern und Eltern waren eine andere Generation. Damit lässt sich nicht alles entschuldigen, jedoch vieles erklären. Doch es geht um das Gefühl, das diese Generationen in meinem Herzen hinterlassen haben. Das zählt.

Im Selbstmitgefühl erkennst du den Wert all des Erlebten und Gewesenen, das dich zu dem Menschen gemacht hat, der du heute bist.

  • An meinen Computer klebe ich mir einen Zettel als Erinnerung: Selbstmitgefühl!
  •  In schlechten Phasen umarme ich mich öfter selbst, atme dabei tief ein und aus und schenke mir gedanklich Selbstmitgefühl.
  •  Die kritischen Stimmen mir selbst gegenüber nehme ich in Gelassenheit an und schaue achtsam, woher sie kommen, um sie so fortschicken zu können.
Über Achtsamkeit im allgemeinen, was das ist und wie es dir hilft, kannst du hier weiterlesen Worum es speziell beim Thema "Gelassenheit" geht, findest du hier ...

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