Slow Living

Dem Begriff Slow Living begegnet man heute immer wieder in allen Bereichen des Lebens. Aber was bedeutet er denn überhaupt? Übersetzen würde man ihn mit „langsam leben“. Doch die Aufforderung, langsam zu leben, klingt wenig realistisch, wenn sich die To-dos des Alltags vor dir stapeln und du ohnehin oft nicht weißt, wo dir vor lauter Arbeit der Kopf steht.

Slow Living zielt auf ein bewusstes Erleben ab, auf eine bewusste Auseinandersetzung mit dem eigenen Lebensstil. Damit verbunden stärkt diese Art zu leben die Eigenverantwortung. Du wirst dich selbstbestimmter und somit freier und unabhängiger fühlen.

Je bewusster du lebst und er-lebst, desto besser kannst du für dich sorgen. Der Slow Living-Gedanke ist ganzheitlich und bezieht sich auf alle Aspekte deines Lebens: Arbeit, Freizeit, Ernährung, Umwelt, Freunde, Reisen, Bewegung etc.

Entschleunigung bedeutet nicht, langsamer zu werden, sondern bewusster und effizienter zu leben.

Slow Living entschleunigt unser Leben, erhöht unsere Produktivität und Effizienz und gleichzeitig wird der Stress weniger und die Zufriedenheit steigt. Als ganzheitliches Konzept beantwortet Slow Living auch die Sehnsucht nach einem nachhaltigeren Lebensstil, schließlich gehören zur eigenverantwortlichen Selbstfürsorge Themen, wie zum Beispiel der Erhalt der Umwelt, und die Frage, wie wir uns ernähren. Bei dem Slow Living-Gedanken ist sich jeder Mensch sehr wohl bewusst, dass jeder von uns als noch so winziges Rädchen im Getriebe des Lebensrades seinen Teil dazu beiträgt, dass die Erde erhalten bleibt.

 

Verantwortungsbewusstes Denken – ein wesentlicher Aspekt von Slow Living

Der Klimawandel hat allgemein zu einem Umdenken geführt. Statt immer schneller, weiter und höher hinaus und Konsumwachstum um jeden Preis, geht es um Nachhaltigkeit, Ressourcenerhaltung und Fairtrade. Die Profitmaximierung weicht einer lokalen Selbstverantwortung. Das Gemeinwohl rückt mehr und mehr in den Fokus. So sind zum Beispiel Nachbarschaftshilfe-Plattformen entstanden oder Tauschbörsen, auf denen nicht nur Kleidung oder andere Gegenstände getauscht werden, sondern auch Dienstleistungen, wie zum Beispiel Gärtnerarbeit gegen Nachhilfeunterricht. Und dazu gehören auch umweltfreundlichere Formen der Fortbewegung, wie zum Beispiel Caresharing oder Sammeltaxis. Teilen statt Besitzen und damit nachhaltiger leben.

Im Zuge der Slow Living-Bewegung entstand die sogenannte Cittàslow (aus dem Italienischen: langsame Stadt), ein Netzwerk, 1999 in Italien gegründet mit dem Hauptziel, die Lebensqualitäten in den Städten zu verbessern und die lokale Wertschätzung zu steigern. Mittlerweile gibt es zahlreiche Gemeinden in Deutschland, die dabei mitmachen, und auch außerhalb Europas findet dieser städtische Slow Living-Gedanke Anklang. Interessant ist dabei, dass auf der Liste mit den Kriterien, die eine Cittàslow auszeichnet, zum Beispiel folgende Programme stehen: Sinnesschulungen (z.B.: zur Geschmacks- und Ernährungserziehung) und Schulungen zur Sensibilisierung für natürliche Produktionsweisen.

Der Trend des „langsamen Lebens“ ist also alles andere als langsam. Slow Living schaut genau hin, setzt sich mit Dingen auseinander, macht nicht einfach mit, denkt an andere und sorgt gut für sich selbst. Slow Living bedeutet, achtsam zu sein. Achtsam gegenüber der Umwelt und sich selbst.

Slow Living setzt auf einen modernen Minimalismus

Nachhaltigkeit klingt gut, Minimalismus jedoch nach Verzicht und Entsagen. Dabei geht es beim Minimalismus gar nicht darum, dass du dich von all deinen Sachen trennst und dir nichts mehr gönnst. Minimalismus bedeutet auch, dass du deinen Stress minimierst, sei es beruflich oder im Privaten deinen Freizeitstress. Denn wie oft halsen wir uns jede Menge Verabredungen und Termine für das Wochenende auf und fallen am Sonntagabend erschöpft ins Bett, von Erholung keine Spur.

Slow Living heißt hier also, der inneren Stimme lauschen, um zu erfahren, was du wirklich brauchst. Welche Verabredungen tun dir gut? Welche Menschen sorgen in deinem Umfeld für erfüllende und bereichernde Begegnungen und welche Verpflichtungen lassen sich auf ein Minimum reduzieren, um mehr Zeit für dich einzuräumen. Zeit, die du sinnfüllend und herzwärmend verbringst. Das mag recht anspruchsvoll klingen, doch jede Stunde, die du lustlos und lediglich pflichtbewusst „abarbeitest“, ist verlorene Zeit. Schaue stattdessen achtsam, wie du auch Termine, die tatsächlich eine Pflichterfüllung sind, so umgestalten kannst, dass sie im Endeffekt Freude bringen. Beispielsweise deine Lebensmitteleinkäufe, die du für die Familie erledigen musst: Verbinde sie mit einem Cafébesuch oder wechsle ein paar nette Worte mit dem Gemüsehändler, bei dem du immer dein Obst kaufst. Gestalte dir deine Verpflichtung so, dass sie nicht nur Last, sondern auch Freude ist. Und statt pflichtbewusst alle drei Tage zu deiner alten Mutter zu fahren, um dort dann lustlos mit ihr auf dem Sofa zu sitzen, besuche sie beispielsweise nur einmal in der Woche und dafür unternimmst du etwas Schönes mit ihr. Die Qualität eures Beisammenseins macht den Unterschied, ob deine Besuche nachhaltig sind oder nicht – für beide von euch. Denn natürlich spürst auch dein Gegenüber, ob du deine Zeit mit Freude mit ihm teilst oder innerlich eher widerwillig.

Qualität statt Quantität – Minimalismus ist kein Verzicht, sondern ein Gewinn an Wert.

Slow Living hat zur Folge, dass du deine Bedürfnisse ernster nimmst. Du verzichtest auf Hektik, auf Stress, auf fremdbestimmte Zeit und auch auf materielle Dinge. Denn je selbstbestimmter du für dich sorgst, desto klarer erkennst du, dass du beispielsweise keine neue Winterjacke brauchst, nur weil die vom letzten Jahr nicht von der gerade angesagten Modemarke ist. Besonders in Bezug auf Kleidung stellst du fest, dass je weniger du kaufst, dafür aber qualitativ hochwertiger, wertest du auch dich selbst auf: Du bist dir diesen Anspruch an Qualität wert. Außerdem wertet es den Kauf an sich auf, wenn du beispielsweise erst eine Nacht über eine Kaufentscheidung schläfst und dich genauer darüber informierst, unter welchen Bedingungen für Mensch und Natur das Kleidungsstück hergestellt wurde. All diese „Überlegungen“ stärken dein Gefühl der Eigenverantwortung und schon fühlt sich deine Kaufentscheidung ganz anders an: entschlossener, verantwortungsbewusster und selbstbestimmter. Vielleicht kommt dann auch das Gefühl auf, als Teil des Großen Ganzen mit deiner Entscheidung einen Beitrag zu leisten. Qualitativ höherwertige Kleidung schmeißt man beispielsweise auch nicht so einfach weg, sondern verschenkt oder tauscht sie, womit du wiederum einen Beitrag zur Nachhaltigkeit lieferst.

Slow living beinhaltet auch, dich von dem medialen Druck zu lösen. Statt zum Beispiel täglich auf Facebook oder Instagram etwas zu posten, nur um mitzumachen, setzt du dir einmal am Tag oder sogar nur einmal in der Woche eine begrenzte „Digital-Zeit“. Auch must du nicht jeder Zeit deine E-Mail- und deine WhatsApp-Nachrichten checken. Auch hier reicht vielleicht ein- oder zweimal täglich.

Bei Slow Living geht es um Minimierung der digitalen Zeiten und der digitalen Erreichbarkeit.

Durch digitalen Minimalismus gewinnst du Zeit und erlebst ein Gefühl von Freiheit und Selbstbestimmtheit.

Digitaler Minimalismus stärkt deine Ausgeglichenheit, denn besonders das Multitasking, zum Beispiel Kochen und nebenbei telefonieren und noch eine WhatsApp beantworten, ist erschöpfend und nervenzehrend. Je fokussierter du bei einer Sache bist, desto entspannter und erfüllender fühlt sich dein Erleben an. Wenn du also kochst, dann kochst du, und zwar mit allen Sinnen. Du nimmst achtsam wahr: All die Gerüche, die Geräusche, du schmeckst ab, du ertastest und betrachtest die Lebensmittel. Und keine Sorge: Durch „Monotasking“ – sprich eine Sache zurzeit – wirst du nicht weniger am Tage verrichten. Multitasking lenkt ab und am Ende brauchst du länger oder aber das Ergebnis wird nicht so, wie du es dir gewünscht hast, weil du zu abgelenkt warst. Selbst dann, wenn es zeitlich keinen Unterschied machen sollte, gefühlt macht es einen großen Unterschied.

Slow Living intensiviert dein Erleben.

Eine minimalistische Lebensweise bedeutet, dass du Prioritäten setzt. Schreibst du beispielsweise alle möglichen Dinge auf deine -To-Do-Liste Liste, wirst du bereits mit Absetzen des Stiftes ein Gefühl von Hetze und Getriebensein spüren. Ganz anders, wenn du beispielsweise nur drei Dinge notierst. Dabei wirst du feststellen, dass nicht alles so wichtig ist, wie du anfangs annahmst.

Außerdem sage öfter mal „Nein“, wo du ansonsten automatisch „Ja“ gesagt hättest, ohne achtsam zu spüren, ob dir dein „Ja“ überhaupt guttut. Trau dich und stehe mutiger für dich ein, denn nur so wirst du deine Bedürfnisse überhaupt erst wahrnehmen. Und dann werden sie wie von allein auf der Messlatte deiner Prioritäten um einige Sprossen nach oben rücken.

Indem du Prioritäten setzt, schaffst du Platz für Dinge, die dir wichtig sind, die dir guttun. Dazu gehört auch, dass du deine Freizeitaktivitäten derart minimierst, dass du täglich eine Stunde Zeit für dich einplanst, und zwar aufgeschrieben und damit fest mit dir selbst vereinbart in deinem Terminkalender. Nimmst du dich wichtig, verliert vieles, was dich zuvor im Außen beschäftigte, an Bedeutung. Sich auf das besinnen, was wichtig ist. Dieser Gedanke wächst, sobald du beginnst, dein Leben im Sinne von Slow Living achtsam und bewusster zu leben. Und du bekommst ein Gespür dafür, was du wirklich brauchst und was ausgedient oder gar nicht nötig ist. Es geht um einen rücksichtsvollen und liebevollen Umgang mit dir selbst. Dieses überträgt sich auf Dinge und Menschen in deinem Umfeld. Du setzt damit sozusagen einen Dominoeffekt in Gange. Indem du auf deine Gesundheit (geistig, seelisch und körperlich) achtest, wirst du auch achtsamer im Umgang mit anderen Menschen und den Ressourcen deiner Umwelt. Das strahlst du aus und bringst auch andere dazu, bewusster und achtsamer zu werden. So wirkst du positiv auf das Leben ein, leistest sozusagen einen kleinen Beitrag zu dem Großen Ganzen, um es zu schützen, zu bewahren und wertzuschätzen.

Slow Living dient durch Nachhaltigkeit der Natur, die Basis von allem.

Der Nachhaltigkeitsaspekt von Slow Living zieht sich im Grunde durch alle Bereiche des täglichen Lebens. Wie bereits erwähnt, ganz vorne an der bewusste und achtsame Umgang mit den endlichen Ressourcen. Dabei geht es zum Beispiel um Recycling und vor allem auch um Upcycling. Im Gegensatz zum Recycling wird dabei das ursprüngliche Produkt nicht etwa vernichtet, um daraus etwas Neues zu schaffen, sondern in seiner Funktion verändert beziehungsweise aufgewertet und schon erhält es ein zweites Leben. Beispielsweise ein Sofa aus Euro-Paletten oder eine alte Holzleiter wird zu einem Bücherregal umfunktioniert.

Und es geht natürlich um Klimaschutz, um Biodiversität und Artenschutz, nur um einige Schlagwörter in Bezug auf Nachhaltigkeit zu nennen.

Sobald du dir selbst und deiner Umwelt gegenüber bewusster lebst, triffst du mehr und mehr Entscheidungen in deinem Alltag, die achtsamer auf deine Umwelt ausgerichtet sind. Beispielsweise radelst du öfter mit dem Fahrrad, statt in Bus und Bahn zu sitzen und lässt für kurze Strecken das Auto stehen. Du kaufst deine Lebensmittel nicht unbedingt im Supermarkt sondern auf Märkten, unterstützt lokale Hersteller und kleine Manufakturen und bestellst weniger online. Du machst dir Gedanken darüber, wie Dinge verpackt sind, du verzichtest auf Plastiktüten und kaufst vielleicht sogar in verpackungslosen Lebensmittelgeschäften.

Je mehr du dem Slow Living-Trend folgst, desto bewusster wirst du dich auf das Wesentliche besinnen und das bringt automatisch mit sich, dass du Dinge des Alltags kritisch betrachten wirst: Woher kommen die Produkte eigentlich? Brauche ich diese Produkte überhaupt? Wieviel Müll produziere ich? Was tue ich damit der Umwelt an? Beispielsweise beginnst du via QR-Codes und Smartphone-App Produkte beim Einkauf zu prüfen, inwieweit dein Shampoo oder deine Gesichtscreme bezüglich Gesundheits- und Tierschutzaspekten vertretbar sind.  Slow Living fordert eine höhere Transparenz, beispielsweise bei der Ofenlegung von Lieferketten, und vor allem auch mehr Wertschätzung von Lebensmitteln: Weg von Fast Food und Tiefkühlkost, hin zu frischen ökologisch vermarkteten Nahrungsmitteln aus heimischem Anbau.

Slow Living bedeutet achtsamer und kritischer Konsum

Im Endeffekt setzt du dich intensiver damit auseinander, was du tatsächlich zum Leben brauchst, wie du leben willst und wie ein für dich gutes Leben aussehen muss. Du schaust achtsamer hin, spürst bewusster in dich hinein und agierst selbstbestimmter.

Selbstverantwortung stärkt das Verantwortungsgefühl für andere Menschen und die Welt, in der wir leben.

Slow Living entschleunigt deinen Alltag

Du hast alle Zeit der Welt, denn die Zeit bleibt immer gleich. Sie tickt in einem steten Rhythmus: eine Minute hat 60 Sekunden, eine Stunde 60 Minuten und der Tag hat 24 Stunden. Es liegt an uns, ob der Tag gefühlt zu wenig Zeit bereithält oder ob wir die uns geschenkte Zeit dankbar genießen. Der Slow Living-Trend entstand auch aus der Sehnsucht heraus, dem Alltagsstress zu entfliehen und zu entschleunigen. Dieses permanente Gefühl, der Zeit hinterher zu rennen und alles schneller und schneller erledigen zu müssen, um Zeit zu sparen, damit man möglichst viel erledigt, ist sicherlich auch der digitalen Schnelllebigkeit geschuldet. Doch auf Dauer macht es krank, powert aus und raubt sämtliche Lebensfreude.

Nur in einem ruhigen Teich spiegelt sich das Licht der Sterne.

Chinesisches Sprichwort

Es geht bei Slow Living darum, die Zeit nicht mit dem Blick auf die Uhr zu messen. Die Zeitsignale findest du in dir selbst. Je bewusster du wahrnimmst, desto mehr tauchst du in die Zeit ein, in das Erleben von Zeit. Ein einfaches Beispiel: Du läufst eiligen Schrittes in der Mittagspause mit einem Sandwich in der Hand durch den Park und telefonierst nebenbei. Anschließend kaufst du schnell noch im Drogeriemarkt ein und schon bist du wieder zurück am Arbeitsplatz. Anders ist das Erleben, wenn du dich mit deinem Sandwich auf eine Parkbank setzt und isst, ohne zu telefonieren. Danach bleibst du noch eine Weile sitzen und beobachtest achtsam und mit allen Sinnen das Treiben um dich herum. Oder du schlenderst durch die Grünanlage und atmest die frische Luft bewusst ein, genießt die Bewegung deines Körpers, lauschst den Parkgeräuschen und spürst in das Erleben des Moments hinein. Logisch welches Erleben sich gemessen an der Zeit länger anfühlte, obwohl deine Mittagspause täglich eine Stunde beträgt, nicht mehr und nicht weniger Zeit.

Zeit ist nichts anderes als Leben. Damit bist du selbst die Zeit, denn Zeit ist Leben.

Je bewusster du alles, was du am Tage machst, tust, desto intensiver ist dein Zeiterleben. Multitasking lässt die Zeit gefühlt schneller vergehen, wohingegen eine nur auf eine Sache fokussierte Tätigkeit dir das Gefühl vermittelt, in der Zeit zu sein. Und genau darum geht es beim Slow Living: In der Zeit sein, die Zeit achtsam und bewusst erleben.

Zeitforscher sprechen häufig von „Zeitformen“: aktiven und langsamen Zeiten. Sobald du achtsam wahrnimmst und dir bewusstwirst – dir selbst und deiner Umgebung – wirst du gefühlt langsamer. Eine durchaus produktive Langsamkeit, denn diese Zeit ist qualitativ wertvoll.

Im Slow Living-Modus erkennst du, dass sich die wesentlichen Dinge des Lebens im Übrigen auch gar nicht beschleunigen lassen: Freude, Liebe, Vertrauen, Erfüllung, Genuss. Die wertvollen Dinge spüren wir erst dann, wenn wir uns erlauben, etwas „langsamer zu leben“, bewusster werden und uns die Zeit nehmen, zu spüren, was im jeweiligen Moment eigentlich wirklich zählt. Dazu gehört eben auch, sich Müßiggang und Langeweile zu gönnen. Es sich selbst wert zu sein, kleine Auszeiten einzubauen, um zu spüren, was gerade ist, um zu träumen und um Gefühle von Dankbarkeit und Demut zuzulassen.

Die Autorin Bianca Schäb reiste vor Jahren mit ihrem Auto durch Deutschland und befragte die Menschen zum Thema Entschleunigung. Die Idee dazu kam ihr, weil sie sich fragte, warum einem die ersten 18 Jahre im Leben viel länger erscheinen, und dann läuft die Zeit gefühlt viel schneller. Dabei traf sie auf interessante Leute, wie beispielsweise eine Nonne, die der Autorin sagte, sie solle sich öfter fragen, wie es ihr selbst gerade gehen würde. Und eine Märchenerzählerin gab ihr den Tipp, öfter ihrer Fantasie zu folgen und der Realität zu entschlüpfen, um das Kindliche lebendig zu halten. Die Autorin stellte bei ihrer Reise fest, dass einerseits das Fokussieren auf eine bestimmte Tätigkeit entschleunigt, wie ihre konzentrierten Autofahrten zu den jeweiligen Ortschaften, und andererseits das Loslassen und den Blick schweifen zu lassen, offen für alles, frei von Verpflichtungen.

Der Weg in die Natur gehört zum Slow Living-Konzept

Der ständige Leistungsdruck und die vielen Reize unserer Umwelt setzen uns unterschwellig zu. Unser Geist ist quasi pausenlos auf Empfang und nimmt auf. Doch wie die Muskeln eines Sportlers benötigt auch unser Geist Ruhephasen, um sich zu regenerieren. Gönnen wir unseren Muskeln keine Phasen der Entspannung und Erholung, verkrampfen sie und schmerzen. Ähnliches passiert mit unserem Geist. Täglich kämpft er mit unzähligen Reizen unseres schnelllebigen Alltags. Slow Living bedeutet, sich bewusst diesen Einflüssen zu entziehen, zum Beispiel mit Ausflügen in die Natur. Wir kommen aus der Natur, die Natur nährt uns und wir sind Bestandteil der Natur. Nicht umsonst heißt es „Mutter Natur“. Und genau dahin sollten wir „fliehen“, um zu regenerieren, um gedanklich loszulassen und unserem Geist Freiraum zu gönnen, ihn schweifen zu lassen.

Spaziergänge im Wald oder im Park haben eine ganzheitliche Wirkung für uns Menschen. Ende des 18. Jahrhunderts zu Beginn der Kulturepoche der Romantik kam der Begriff der „Waldeinsamkeit“ auf. Der junge Dichter zog in die Wälder, um dort allein auf sich gestellt, umgeben von Natur, seinen innersten Sehnsüchten, Ängsten und Wünschen zu begegnen. Denn die Natur besitzt eine einzigartige Energie oder Aura, die uns Menschen berührt und empfindsam macht. Sie vermag uns zu trösten und zu stärken. Und manchmal hat man das Gefühl, dass die innere und äußere Landschaft in der Natur miteinander verschmelzen würden.

Die Natur ist ein Seelenort, der Kraft spendet und uns erlaubt, wir selbst zu sein.

Die Natur ist eine Kraftquelle. Natürliche Reize, wie das Zwitschern der Vögel oder das Rauschen der Blätter, haben ganz anders als beispielsweise die künstlichen Reize der Stadt, wie der viele Lärm der Autos und der Menschen, einen positiven Effekt auf unser Wohlbefinden. Sie stärken uns und lassen uns in einen Rhythmus finden, in dem sich die Dinge relativieren, Probleme weniger bedrohlich wirken und der Geist losgelöst vom Alltäglichen zu neuen Ideen finden kann. Slow Living bedeutet eben auch, in der Natur die Seele baumeln lassen und den Tag verbummeln.

Slow Living verbindet

Sobald du dich näher mit Slow Living beschäftigst, wirst du feststellen, dass sich deine Beziehungen verändern. Dadurch, dass du dich selbst wichtiger nimmst, deine Bedürfnisse in den Fokus rückst, geht es dir mehr und mehr um Tiefe, um das Wesentliche und viel weniger darum, oberflächlichen Spaß zu haben. Die Zeit, die du mit anderen teilst, ist kostbar. Du erwartest einen Gewinn von dieser Zeit. Einen Gewinn insofern, dass du weniger an Smaltalk als an guten Gesprächen interessiert bist. Statt über den neusten Klatsch und Tratsch zu reden, wirst du andere Themen suchen, die dich berühren und die euch, dich und deinen Gesprächspartner, verbinden. Automatisch wirst du offener. Offener für deine Gefühle und die des anderen. So entsteht eine neue, wesentlich tiefer gehende Ebene der Kommunikation.

Unsere Gefühle sind die Pigmente, die unserem Leben Farbe geben.

Slow Living ist die Gegenkraft zu dem oft antrainierten Unterdrücken aller Gefühle, um ja zu funktionieren. Ohne Gefühle wäre ein Leben nicht denkbar. Erst durch unsere Gefühle erfahren wir die Welt. Und wie oft sind es unsere Gefühle, die uns unsere Gedanken erst ins Bewusstsein heben. Letztendlich sind Gefühle auch ausschlaggebend für unsere Leistung und für unsere Lebenskraft. Sie beeinflussen selbst organische Veränderungen, wie beispielsweise erhöhten Blutdruck, Schweißausbruch oder Zittern. Vor allem jedoch sind es die Gefühle, die uns Menschen miteinander verbinden. Je achtsamer du dir deiner selbst bewusstwirst und deine Gefühle ernst nimmst, desto mutiger wirst du auch zu dem stehen, was du fühlst. Du versteckst dich nicht länger, schämst dich nicht für vermeintliche Schwächen, sondern erkennst, dass dieses große Spektrum an Emotionen etwas komplett Menschliches ist und dich zu dem wertvollen Menschen macht, der du bist – einzigartig und liebenswert.

Ehrlichkeit und Authentizität vertiefen Beziehungen. Es sind oft die von jemanden offen eingestandenen Schwächen, die dich für diese Person einnehmen, die eine Verbindung zwischen euch schaffen. Dadurch gewinnt eine Begegnung an Tiefe und berührt das Herz. Es kommt zu wertvollen Herzensbegegnungen. Derartige Beziehungen erfüllen und beschenken mit einem Gefühl der Bereicherung.

Und Slow Living-Gedanke bedeutet auch, die Menschen zu sehen, denen es schlechter geht. Soziales Engagement oder eine helfende Hand in der Nachbarschaft – das Gefühl, etwas Gutes zu tun, bereichert dich und tut damit dir ebenso gut wie denen, denen du hilfst.

In dem Moment, wo du gibst, wird dir geschenkt.

Slow Living schafft Lebenssinn

Slow Living verlangt mehr vom Leben als beispielsweise Arbeiten des Arbeitens wegen. Es geht immer um den Sinn. Die Grundbedürfnisse sind in unserer Gesellschaft weitestgehend befriedigt und damit stellt sich die Sinnfrage. Das, was man tut, sollte möglichst einen Sinn haben. Und damit einhergehend sollte auch das gesamte Leben einen Sinn in sich bergen. Und da der Sinn des Lebens nicht nur Arbeiten sein kann, schafft Slow Living Platz für mehr. Dafür ist ein ausgewogenes Verhältnis von Arbeits- und Privatleben sehr wichtig. Ohne Work Life Ballance drehen wir uns weiterhin in einem Hamsterrad und kommen nicht bei uns an, um die Themen zu „bearbeiten“, die uns wichtig sind, die uns guttun und die vieles verändern würden. Hierzu ist übrigens interessant, dass laut Hans Böckler-Stiftung (Forschungswerk des Deutschen Gewerkschaftsbundes) eine kürzere Arbeitszeit die Produktivität erhöht. Beispielseise lässt sich innerhalb von sechs Stunden täglicher Arbeitszeit nahezu die gleiche Arbeitsmenge erledigen wie innerhalb von acht Stunden.

Der Sinn ergibt sich immer aus dir selbst heraus.

Um im Alltag ein Gefühl der Erfüllung zu erfahren, benötigen wir Zeit zum Spüren und Wahrnehmen. Deine Wahrnehmung gibt deinem Tun einen Sinn. Es sind deine Haltung und deine Perspektive, die den Dingen ihren Wert geben. Auf der Suche nach dem Sinn verlangsamen wir automatisch, um achtsam zu sein und um genau zu schauen – um zu erkennen und zu verstehen.

Slow Living kann man auch mit „Wabi sabi“ in Verbindung bringen. Wabi sabi ist eine japanische Ideologie der Schönheit und der Wahrnehmung von Schönheit, die hinter den verschiedenen Formen der japanischen Kultur und Philosophie steht.

Bei Wabi sabi geht es darum, Schönheit in jedem Aspekt der Unvollkommenheit zu finden. Statt den Begriff der Schönheit zu etwas zu machen, was tagtäglich verbessert und verfeinert und damit unerreichbar gemacht wird, fordert Wabi sabi dazu auf, die Schönheit in dem zu entdecken, was bereits da ist – unvollkommen, fehlerhaft, unbeständig und rein. Das erlaubt uns, die Dinge so zu akzeptieren, wie sie sind, und in jedem das Schöne zu erkennen. Und es erlaubt uns, offener zu sein, Fehler einzugestehen und das Unperfekte zu zeigen.

Wabi steht bei dieser Ideologie für die Einfachheit, die Vergänglichkeit und die Unvollkommenheit. Sabi dagegen drückt die Wirkung der Zeit aus. So geht es hierbei auch darum, das Altern wertzuschätzen, das Beschädigte und mit Spuren Behaftete.

Die japanische Ideologie Wabi sabi bedeutet, die Dinge so zu sehen, wie sie sind. Und so, wie sie sind, sind sie perfekt. In allem ruht eine Schönheit.

Ob nun Slow Living oder der Wabi sabi-Gedanke: Immer geht es um eine Bewusstwerdung, um eine achtsame Haltung, die das Wesentliche sichtbar macht. Und es geht darum, in dem bereits Vorhandenem die Schönheit zu erkennen, den Wert der Dinge und den Wert deiner selbst zu spüren. Denn erst durch das Erkennen der Schönheit in allem, was uns ausmacht und was uns umgibt, öffnen wir uns für ein Miteinander und richten unseren Fokus auf die Liebe, um das Leben zu feiern.

Weitere Informationen zur Achtsamkeit

Woche für Woche findest du in unserem Blog von Jutta Vogt-Tegen neue Artikel, die dir helfen sollen, Achtsamkeit im Alltag zu leben. Diese Artikel sind in Themengebiete eingeteilt und zu jedem Thema haben wir für dich noch viele Grundlegende Informationen zusammengetragen: